Dimensions

1.

Prüfend ließ Lucifer seinen Blick über die Trümmerlandschaft schweifen, die einst die siebte Schale der Hölle gewesen war. Adam Kadamons endgültige Auflösung hatte selbst die Hölle bis in ihre Grundfesten erschüttert. Erschüttert, aber nicht zerstört. Genauso wenig wie ihn. Und alles was nicht völlig zerstört war, konnte wiedererschaffen werden. In der Tat waren seine sieben Satane bereits dabei der Unterwelt ihre einstige Gestalt zurück zu geben.
Er selbst hatte sein Ziel, die Welt zu übernehmen diesmal noch nicht erreicht, aber er sah sich auch nicht als gescheitert. Sein Tag würde kommen. Jetzt allerdings gab es etwas ganz anderes, das er erledigen wollte. Etwas Wichtiges.
Er umrundete einen Felsbrocken und sein kühler Gesichtsausdruck hellte sich etwas auf, als er dort fand was er gesucht hatte. Er trat Kato vorsichtig in die Seite. „Steh auf Alter.“
Kato öffnete mühevoll die Augen und sah ihn an. „ Kira, du schon wieder?“ fragte er, aber er konnte die Freude in seiner Stimme nicht ganz verbergen. „Ist es immer noch nicht vorbei mit mir?“ Er versuchte sich aufzurichten und stöhnte leise auf, als sein schmerzender Körper protestierte. „Ich dachte ich wäre endgültig erledigt.“
„Nein, ich fürchte, ich muss dich enttäuschen. Du musst wohl noch eine ganze Weile durchhalten“, erwiderte Lucifer.
„Aber mein Körper … ist völlig zerstört.“ Kato sah ihn verwirrt an. Dann verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Was ich nicht zuletzt dir zu verdanken habe…“
„Und genauso kannst du mir dafür danken, dass ich sozusagen deine Haut rette. Hier herrsche ich und ich kann dir so oft einen neuen Körper aus den Fasern des Lebensbaumes geben, wie ich es will.“
„Und warum solltest du das wollen?“ fragte Kato immer noch misstrauisch. „Wir waren Erzfeinde, erinnerst du dich?“
„Nun, wir sollten eine solche Meinungsverschiedenheit nicht zwischen eine jahrelange Freundschaft kommen lassen, meinst du nicht? Wir haben vorübergehend auf verschiedenen Seiten gekämpft, aber das ist jetzt vorbei.“
 Kato sah ihn fragend an. „Was meinst du damit, es ist vorbei? Was ist passiert? Und wo ist Setsuna?“
„Auf der Erde. Es geht ihm gut. Er hat … gewonnen wenn man das so sagen kann.“
Kato lehnte sich beruhigt zurück. Es war ihm ziemlich egal was genau passiert war. Ihm war es immer mehr um persönliche Sympathien gegangen, als um Ideale und Ziele. Wenn es Setsuna gut ging und Kira wieder der Alte war, war das fast mehr als er zu hoffen gewagt hatte. „Ich müsste allerdings längst tot sein, oder bin es bereits. Was wird jetzt aus mir?“ fragte er etwas verwirrt.
Kira ließ sich neben ihm nieder. „Nun, nachdem du jetzt geläutert bist könntest du in den Himmel aufsteigen.“
Kato schauderte „Niemals“ sagte er überzeugt.
„Oder du könntest wiedergeboren werden und Setsuna und Sarah auf der Erde wieder treffen.“
Kato runzelte die Stirn. „Als Kleinkind? Einen Setsuna der sechzehn Jahre älter ist als ich? Wie erniedrigend. Außerdem braucht er mich nicht mehr.“
„Oder ich gebe dir einen neuen Körper und du bleibst eine Weile an meiner Seite.“ Schloss Lucifer.
Kato lächelte. „Keine schlechte Vorstellung. Er sah Kira an. „Du scheinst wieder fast der Alte zu sein und im Gegensatz zu Lucifer hatte ich gegen Sakuya Kira nie etwas einzuwenden. Ich bleibe.“
„Täusche dich nicht. Ich bin noch immer Lucifer, der Höllenfürst. Gleich welches Gesicht ich dir zeige.“
„Solange du mir dieses Gesicht zeigst ist es mir egal“, sagte Kato leise.
„Dann komm mit. Hier ist es etwas ungemütlich und kein würdiger Ort für den Fürsten der Hölle, um Gäste zu empfangen. Kannst du gehen, Kato?“
Kato nickte und stand auf. Sein zerschundener Körper machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung und er musste sich gegen den Felsen lehnen um nicht zu fallen. „Etwas Hilfe könnte ich doch gebrauchen“, gab er zu. „Ich brauche wirklich einen neuen Körper.“
„Ich werde deinen jetzigen heilen lassen.“ Lucifer legte Kato einen Arm um die Hüfte, um ihn zu stützen. „Keine Sorge, es wird hier nur ein paar Stunden dauern.“ Behutsam zog er Kato mit sich.
„Wohin bringst du mich?“ fragte Kato.
„In meinen Thronsaal. Der erste Raum der Hölle, der wieder hergerichtet wurde.“ Zum ersten Mal, seit sie sich getroffen hatten sah Lucifer seinen alten Freund fast zärtlich an. „Du hast tapfer gekämpft. Und jetzt wirst du dich etwas ausruhen können.“
Als sie den Thronsaal schließlich betraten, der schon wieder in seiner alten Pracht erstrahlte stockte Lucifer jedoch. Ein Bild, das er noch nie gesehen hatte bot sich ihm. Jemand besetzte seinen Thron.
Er ließ Kato sanft auf den Boden gleiten und trat näher. Die Gestalt auf dem Thron trug eine lange Robe unter deren Kapuze ihm zwei violett strahlende Augen ruhig entgegen sahen.
„Wer bist du?“ fragte Lucifer kalt. „Und was hast du hier verloren?“
„Ich bin Marik Ishtar“ gab der geheimnisvolle Fremde zurück, in einem Ton dem man anmerkte, dass er der Meinung war, dass jeder diesen Namen schon gehört haben sollte. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich hierher gekommen bin, oder wo ich bin, aber es gefällt mir hier.“
„Du bist in der untersten Schicht der Hölle“, erklärte Lucifer, ungeduldig werdend.
Marik Ishtar lächelte wenig beeindruckt. „Um so besser. Das passt hervorragend zu meinen Plänen.“
„Was auch immer dieser Plan sein mag, dies mein Reich. Also erkläre mir besser, wie du hier hinein gekommen bist, in den Grund der Hölle, der unter anderem von sieben Satanen bewacht wird.“
„Ich vermute es war ein Dimensionstor“ erklärte Marik Ishtar immer noch sehr ruhig.
„Dimensionstor?“ fragte Kato, der bereits spürte, wie sein Körper zu heilen begann. Es war ein unangenehmes aber nicht schmerzhaftes Gefühl.
„Das ist natürlich möglich“, Lucifer drehte sich zu ihm um. „Durch das Verschwinden von Gott und Adam Kadamon können sehr wohl Löcher in die Dimensionen gerissen worden sein. Mehrere Parallelwelten können dadurch verbunden sein. Es ist nicht möglich zu sagen, was für Auswirkungen das haben wird.“
„Das kommt mir sehr gelegen“, lächelte Marik.
„Wie auch immer, es geht nicht, dass eins dieser Portale in den Schlund meiner Hölle führt“, sagte Lucifer bestimmt. „Ich werde sie suchen und verschließen müssen.“ Er sah seinen Freund an. „Tut mir leid Kato, aber mit der Ruhe die ich dir versprochen habe wird es wohl nichts.“
„Kein Problem.“ Kato grinste. „Ich habe schon angefangen mich zu langweilen.“
In genau dem Moment war plötzlich ein ohrenbetäubendes Brausen zu hören und die Luft in der Mitte des Raumes schien zu flimmern und zu vibrieren. Lucifer stellte sich schützend vor Kato. Kato musste den Blick abwenden, als es plötzlich so wirkte, als würden sich mitten im Raum verschiedene Welten miteinander vermischen. Es war ein Gewirr von Farben und Geräuschen, das die Form eines Wirbelsturmes angenommen hatte. Genauso plötzlich wie es angefangen hatte, verschwand es allerdings wieder. Zurück blieb eine auf dem Boden zusammengerollte Gestalt. Bislang konnte man nur die sehr hellen, fast weißen Haare ausmachen, die zu allen Seiten abstanden.
„Noch ein Besucher aus einer anderen Dimension“, bemerkte Lucifer. „Wer bist du?“
Langsam entrollte sich die Gestalt und setzte sich auf. Zwei kalte schokoladenbraune Augen blickten ihn leicht verwirrt an. „Als erstes wäre es ja wohl angebracht dich selbst vorzustellen und mir zu erklären, wo ich hier bin!“, brummte der Gast mit seiner tiefen Stimme. Luzifer blickte entrüstet ob so viel Dreistigkeit auf den Besucher herab während Kato ein Grinsen kaum verbergen konnte. Marik sprang unterdessen von dem Thron auf und lief auf den weißhaarigen Fremden zu. „Bakura, dass ich dich noch mal wiedersehe. Ich dachte du währst im Reich der Schatten verschwunden. Dann können wir ja wieder zusammen arbeiten.“, begrüßte Marik seinen ehemaligen Verbündeten. Bakura schaute überrascht auf, als er Mariks Stimme vernahm und seine kalten Augen schienen etwas sanfter zu werden. „Hast du denn auch noch den Millenniums Stab?“, wollte der zweite Gast wissen. „Ohne den gibt´s nämlich keine Kooperation!“ Lucifer hatte sich inzwischen wieder von seiner Überraschung erholt und verfolgte, gemeinsam mit Kato, gespannt die Unterhaltung zwischen seinen Gästen. Nach einer Weile beschloss er sich in das Gespräch einzumischen und herauszufinden wer diese zwei Männer waren und woher sie kamen und was sie vorhatten! Die beiden Besucher waren unterdessen beschäftigt sich Gräueltaten für den Pharao auszudenken und bemerkten nicht wie der Fürst der Hölle näher kam. „Von wem redet ihr da eigentlich die ganze Zeit?“, wollte Lucifer wissen. „Das geht dich nichts an!“, antworteten die Gefragten wie aus einem Munde. „Dies hier ist immer noch mein Reich, also habe ich ja wohl auch das Recht zuerfahren gegen wen ihr zwei euch verschwört!“, heischte er die beiden an. Der Grabräuber und der Grabwächter wechselten einen schnellen Blick und antworteten abermals im Chor: „Nö.“ Kato konnte regelrecht sehen wie sein Freund um seine Beherrschung rang und er dachte bei sich: ‚Das könnte böse ausgehen. Nur gut das es diesmal nicht mich trifft’ Lucifer hatte indessen seine schwarzen Schwingen ausgebreitet und zog sein Schwert um sich auf die beiden, mittlerweile mehr als ungebetenen, Gäste zustürzen. Er hatte allerdings keine Chance gegen die vereinte Macht des Millenniums Stabes und des Millenniums Ringes. Für kurze Zeit verbannte Bakura ihn mit Mariks Hilfe ins Reich der Schatten. Sichtlich beeindruckt steckte Lucifer sein Schwert wieder in die Scheide zurück, während Kato erleichtert aufatmete und zu Kira sagte: „´ne Zigarette wär´ jetzt cool!“
Kira nickte ergeben und ließ sich neben Kato auf dem Boden nieder, wobei er ihm eine Zigarette aus seiner Schachtel anbot. Aus alter Gewohnheit hatte er die selbst jetzt noch dabei. Und außerdem wusste er aus Erfahrung, dass man mit Kato schlecht auskam, wenn man keine Kippen dabei hatte. Auch sein altes Feuerzeug beförderte er zu Tage und Kato lächelte, als er es wieder erkannte. Kira gab ihnen beiden Feuer und dann beobachtete sie beide ihre zwei Besucher. Kira missmutig und Kato leicht amüsiert. Wenn Kira nicht alles täuschte waren sie mittlerweile dazu übergegangen Pläne zu schmieden, wie sie von hier aus mit Hilfe der Dimensionslöcher gleich die ganze Welt unter Kontrolle bringen konnten. Und sie schienen ständig über Karten zu reden. Etwas, das Kira regelrecht Kopfschmerzen bereitete. Er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand ihn im Kampf überraschte. Natürlich, er hatte seine Schwachpunkte, aber die wusste er eigentlich ganz gut auszugleichen. Und so etwas wie eben war ihm in den Jahrtausenden seiner Existenz erst drei oder vier Mal passiert. Was auch immer es war, was eben gegen ihn verwendet wurde: Es musste ein mächtiges Artefakt sein. Und es weckte natürlich sofort sein Interesse.
„Wie in alten Zeiten“ grinste Kato und zog genüsslich an seiner Zigarette. „Nur, dass du diesmal derjenige bist, der eins aufs Dach bekommt. Weißt du was? Ich fange an das Leben wieder zu genießen.“
„Kaum ist dein Körper verheilt kannst du schon wieder große Reden schwingen“ sagt Kira mürrisch. Er fasste schließlich einen Entschluss. Diese zwei Fremden, Marik und Bakura … so seltsam sie auch waren, schienen sie doch sehr mächtig zu sein. Und er konnte vermutlich ein paar Verbündete gebrauchen, wenn er vorhatte sich mit den Dimensionslöchern auseinander zu setzen. Ob er diese wirklich verschließen wollte wusste er noch nicht. Das kam ganz darauf an, ob sie ihm nützen konnten. Er drückte seine Zigarette aus und stand auf. Als er sich den beiden diskutierenden näherte hielten die ebenfalls plötzlich in ihrer Diskussion inne und drehten sich zu ihm um.
„Ich hätte da einen Vorschlag zu machen“ begann Lucifer.
„Wir ebenfalls.“ Gab Marik zurück. „Offensichtlich haben wir alle vor, uns die Dimensionstore zu Nutze zu machen. Unser Vorschlag ist es zusammen zu arbeiten, bis sich unsere Ziele gegeneinander wenden. Keine Versprechungen, keine Verträge. Wir arbeiten nur so lange zusammen, bis einer dem anderen im Weg ist.“
„Das war auch mein Vorschlag“, Kira sah von einem zum anderen. Beide sahen nicht aus, als könne man ihnen über den Weg trauen. Nun, das machte nichts. Ihm selbst konnte man auch nicht trauen.

Ende Teil 1

Teil 2

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